Erfahrungsbericht mit der Kawasaki Versys – Unterwegs in den Düften und Gerüchen des Südens an der Ardèche

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© Bernd Holstiege

Frankfurt am Main, Deutschland (RoadsRus). Der Name Versys bezeichnet die Vielseitigkeit und „sys“ die Systemabsicht – nomen est omen – Tourenbike, Soft-Enduro und Naked-Bike zugleich. Ebenfalls auf einer Pressereise an die Ardèche in Südfrankreich, knapp 2 Jahre zuvor im Spätsommer, hatte ich das Vorgängermodell schon mal kurz gefahren und war von der Straßenlage, der Kurvenfreudigkeit, dem Anzug und dem geringen Spritverbrauch angetan.

Als mich wieder Jochen Ehlers von den Endurofuntours zu einer Motorradpressereise an die Ardèche einludt, fragte ich deswegen als erstes bei Kawasaki nach der Versys an . Bad Homburg-Friedrichsdorf, der deutsche Kawasaki-Stammsitz ist von Frankfurt ja nicht weit. Den Ansprechpartner verwunderte das kaum. Aber er bedauerte, mir kein Tourenpaket (Topcase und Seitenkoffer), wie es damals montiert war, mitgeben zu können. Das sei am neuen Modell in Deutschland noch nicht zugelassen. Er schlug mir vor, ich könnte ja eine Gepäckrolle nehmen. Ob ein Tankrucksack anzubringen sei, sei fraglich.

Bei der Abholung gefiel mir das Bike auf Anhieb, hochbeinig, in schwarzgelb gehaltene Farbgebung, knallgelber großer Tank und knallgelbe Seitenverkleidung, für mich allerdings ungewohnt hoch, da ich sonst Chopper fahre. Ich liebe ja gelb, besitze eine gelbe 125er Chopper und einen gelben Sportwagen. Eine Einweisung erhielt ich nicht. Der Tank war voll. Mein Blick fiel auf ein winziges Windschild, einen großen analogen Drehzahlmesser und einen digitalen Geschwindigkeitsmesser am Cockpit. Ein etwas größeres Windschild wäre mir lieber gewesen, ist aber nachrüstbar. Meine langen Beine sind trotz der Sitzhöhe stark angewinkelt, wobei mir bald ein schon vorher leicht gereiztes Knie schmerzte. Aber bei einer Streckung des Beines sogar bei über 130 verging der Schmerz. Für verschiedene Beinlängen sind drei Sitze nachrüstbar.

Zu Hause probierte ich die Gepäckmöglichkeiten aus, brachte einen Tankrucksack mit Magneten an, zwei Nylonpacktaschen über dem Hintersitz, die noch genügend Spielraum zu den Rädern ließen, und darüber eine Gepäckrolle, in der sich noch ein kleiner Rucksack befand, für alle Fälle, sollte ich noch mehr mit zurück nehmen müssen (etwa Weinprobeflaschen wie das letzte Mal).

Die Kawasaki scheint mir für alle Arten von Straßen, jede Art der Nutzung und für Anfänger sowie Profis konzipiert. Die auffälligste optische Änderung zum Vormodell ist die neu gestaltete Scheinwerfereinheit mit übereinander angeordneten Lampen, die mit den im Diamantdesign ausgeführten Blinkern für ein dynamisches Aussehen sorgt. Der große 19- Liter-Tank verschafft, da sie kein Säufer ist, eine tolle tourentaugliche Reichweite von weit über 400 km. Am Heck sorgt das kantigere LED-Rücklicht für die optische Abgrenzung zum Vorgängermodell.

Das Fahrwerk bügelt fast jede Art von Unebenheit weg, ohne dabei schwammig oder instabil zu werden. Als angenehm habe ich auch empfunden, dass für den Fahrer fast keine Vibrationen spürbar sind.

Die Charakteristik des Motors ist mir ja positiv bekannt, der sonore, rauhe Klang – natürlich nicht das seidige Schnurren eines Vierzylinders – und das Durchzugsvermögen aus unteren Drehzahlen ab 2000. Dass von dem aus der ER-6 bekannten und dort 72 PS starken Zweizylinders nur 64 PS übrig blieben, mag zunächst enttäuschend klingen. Die Versys ist mehr auf Durchzug getrimmt. Jeder Gasbefehl wird spontan umgesetzt und vermittelt das Gefühl, ein wesentlich stärkeres Motorrad zu steuern. Der Twin reagiert kräftig, sanft, kontrollierbar und mit wenig Lastwechseln auf jeden Gasbefehl. Das Fahrwerk ist stabil, lenkpräzise, und die Maschine sehr handlich.

Da kommt schon fast Supermoto-Feeling auf. Für Fahrten zu zweit oder mit Gepäck kann man die Federvorspannung vorne und hinten einstellen und so das Motorrad dem Beladungszustand anpassen. Ganz schnell aufeinander folgende Kurven mit entsprechenden Brems- und Beschleunigungsmanövern können dann doch ein leichtes Schaukeln ins Fahrwerk bringen. Dieses Fahrverhalten ist typisch für Motorräder mit etwas größerem Federweg und daher keinesfalls ungewöhnlich. Es wird jedoch selbst bei forscher Gangart nie kritisch.

Die Maschine liegt hervorragend in den Kurven. Federleicht und neutral fällt die Versys infolge des steilen Steuerrohrwinkels und somit kurzen Baus in Schräglage und folgt den Lenkbefehlen präzise. Enge Wechselkurven? Reinhalten, einklappen – verdammt! Verschätzt! Macht nix. Ein kleiner Zug am Lenker genügt, schon sind Kurskorrekturen in Schräglage vollzogen. Selbst kleinste Radien scheut die Versys nicht, sie zickt nicht, kippt nicht unplanmäßig hinein, sondern bleibt immer völlig unter Kontrolle. Dadurch setzt sie sich von Reise-Enduros anderer Firmen ab.

Diese Grenzsituationen probierte ich allerdings wenig aus, da ich noch etwas von der abwechslungsreichen Landschaft und deren Gerüchen und Düften mitbekommen wollte. Ich liebe ja das Cruisen. Die Folge war, dass die Mitfahrer, die mehr das sportliche Fahren und den Kurvenrausch geniessen wollten, ab und zu auf mich warten mussten. Auf kleinen, kurvigen, unebenen Sträßchen an der Ardèche hatte ich ein souveränes Fahrgefühl. Das machte Spaß.

Die Höchstgeschwindigkeit ist mit 185 angegeben, die ich mit den wenig strömungsgünstigen Packtaschen, der Gepäckrolle und meiner sich leicht blähenden Textiljacke bei zwei kurzen Versuchen nicht ganz erreichte – wichtig für die Motorradstammtischrunde. Mit dieser kann man dort wohl wenig angeben. Dafür ist die Versys auch nicht konzipiert, eher der Schwesternmotor der ER-6. Dann sollte man sich gleich eine Rennmaschine zulegen. Mir reicht zum Testen eine mittelgrosse Maschine. Sie ist nicht so schwer, hat noch genügend Durchzug und lässt eine Reisegeschwindigkeit von über 150 km/h zu.

Dazu ein Schmankerl, das tief in die Psychologie nicht nur von Motorradfahrern blicken lässt: Kürzlich erklärte mir ein Motorradfahrer den Unterschied. Er fahre eine Rennmaschine mit 180 PS. Mit der könne man ja nicht langsam fahren. Aber – er sei eigentlich zu alt, wolle sich einen Chopper zulegen. Aber eine große Maschine müsse es schon sein. Er fahre auch einen V8 und liebe große Frauen. Als ich erzählte, mir reiche eine Mittlere oder sogar zwischendurch eine Kleine, erklärte er mir den Unterschied: Er sei klein und ich sei groß, deswegen bräuchte ich nicht eine Große. Ich halte diese Form von Kompensation eher für eine Frage des Selbstwertgefühls.

Spitzenwerte – für mich auch besonders wichtig – erzielt die Versys an der Tanksäule. Lediglich 4 Liter Normalbenzin benötigte der Twin auf der kurvigen Landstrasse mit häufigeren starken Beschleunigungen. Sicher sind unter 4 Liter möglich. Bei konstant 130 km/h zerstäuben die Einspritzdüsen 4,5 Liter. Wer’s eilig hat und ständig zwischen 160 und 180 km/h unterwegs ist, der muss wie ich auf den letzten Autobahnteilstücken mit gut fünf Litern auf 100 Kilometern rechnen – das sind verbraucherfreundliche Werte.

Für die Fahrt in den Süden Frankreichs zum Treffpunkt Viviers, etwa 850 km, nahm ich mir 11/2 Tage Zeit. Eigentlich wollte ich schon eher und vorher durch die Vogesen und das Zentralmassiv kurven. Das Wetter lud nicht dazu ein. An der Ardèche war das Wetter hervorragend. Beim Programm der Düfte und Gerüche, beim Essen, Wein und Besichtigungen blieb nicht sehr viel Zeit zum Kurvenspass, so dass in 3 Tagen nur gut 300 km zustande kamen. Dazu einen eigenen Artikel.

Auf dem Rückweg fuhr ich gen Südosten über den Mont Ventoux, ein beliebter, da weit erkennbarer Bergkegel östlich des Rhonetals, den ich schon lange mit dem Rennrad befahren wollte, diesmal halt mit dem Motorrad, und beabichtigte noch eine Alpenpässetour anzuschliessen. Aber wieder fing es auf dem Weg nach Norden an zu regnen, und ich fuhr gen Heimat. Weil ich schon dabei war, fuhr ich die ganze Nacht hindurch und war am Morgen in Frankfurt. Das ging mit der Versys hervorragend und war für mich ein Ausprobieren für weitere durchzechte Nächte. Wenn die Konzentration nachließ, machte ich halt eine Pause mit Kaffee und Würstchen.

Fazit:

Bei der Kawasaki Versys stimmt das Preis/Leistungsverhältnis. Für 7995 Euro offeriert Kawasaki mit der 2010er Versys ein attraktives, forsch aussehendes Motorrad für nahezu alle Zweirad-Lebenslagen. Das ist seine Kunst. Der Spagat zwischen Verarbeitungsqualität, Vernunft und Spaß ist den Kawasakitechnikern gut gelungen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Versys in ihrer Klasse 2010 Maßstäbe setzen wird, denn sie hat auch Feuer.

Richtig punkten kann der Mittelklässler jedoch weiterhin mit seiner Vielseitigkeit. Ob in der Stadt, bei der Feierabendrunde, dem Wochenendtrip oder der Urlaubsfahrt, die Versys gibt überall eine gute Figur ab. Sie ist sehr fahraktiv, bequem und vielseitig einsetzbar, ein guter Allrounder halt. Nun können Allrounder nach landläufiger Meinung vieles ein bisschen und nichts richtig, aber das muss bei der Versys nicht zutreffen.

Technische Daten Kawasaki Versys

Motor: Flüssigkeitsgekühlter Viertakt-Reihenzweizylinder
Kühlung: Flüssigkeit
Hubraum: 649 ccm
Leistung: 47 kW (64 PS) bei 8.000/min
Drehmoment: 61 Nm bei 6.800/min
Bohrung x Hub: 83,0 x 60,0 mm
Gemischaufbereitung Elektronische Benzineinspritzung
Getriebe: 6-Gang, Kette
Rahmen: Diamantrahmen aus hochfestem Stahl
Federung vorne 41 mm-Upside-down-Teleskopgabel mit (rechtsseitiger) stufenlos einstellbarer Zugstufendämpfung und einstellbarer Federvorspannung
Federung hinten Seitlich montiertes Einzelfederbein mit 13-fach einstellbarer Zugstufendämpfung und 7-fach einstellbarer Federvorspannung
Reifen vorne: 120/70 ZR17 M/C
Reifen hinten: 160/60 ZR17 M/C
Bremsen vorne: Halbschwimmend gelagert 300-mm- Doppelscheiben-Bremse mit Petal-Design, ABS
Bremsen hinten: 220-mm-Scheibenbremse mit Petal-Design
Radstand: 1.415 mm
Sitzhöhe: 840 mm
Tankinhalt: 19 Liter
Trockengewicht: 181 kg

Kawasaki Deutschland: www.kawasaki.de

ENDUROFUN Tours, Postfach 43, 25710 Burg / Dithmarschen, Tel.: 0049 – 0 48 25 / 16 95

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Bernd Holstiege wurde am 14. Juni 2010 , um 17:36 Uhr, im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.